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DRUCKVERSION Gefahr aus Tschechien

Zehn Jahre nach der Jahrhundertflut von 2002 streitet man an der Elbe nicht um neue Deiche, sondern eine Staustufe im tschechischen Děčín. Die hätte Auswirkungen auch auf Deutschland, meinen Umweltschützer und Politiker

von UWE RADA

Gemächlich, mit der Strömungsgeschwindigkeit von drei Stundenkilometern, treibt das Schlauchboot auf die Brücke zu. "Hier ist es passiert". Ernst Paul Dörfler zeigt auf die Brücke unterhalb von Pirna. "Vor dieser Brücke ist der tschechische Frachter havariert." Am liebsten, meint der Umweltaktivist des BUND, hätte die zuständige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung die Havarie vertuscht.

Am Pfingstsonntag war die MS "Perun" der tschechischen Reederei ČSPL in Pirna bei Dresden auf Grund gelaufen. An Bord befanden sich 307 Tonnen Kalksalpeter. Auf eine Pressemitteilung hat das Wasser- und Schifffahrtsamt Dresden verzichtet. Die Polizei teilte mit, dass der Frachter unbeschädigt sei. Erst als die Dresdener Morgenpost von drei Lecks im Schiffsrumpf berichtete, wurde die Havarie zum Politikum. Die "Perun" hatte die Elbe bei Niedrigwasser befahren – und einen seit zehn Jahren dauernden Streit neu entfacht. "Für die Wasser- und Schifffahrtsämter ist die Elbe eine fast durchgängig befahrbare Wasserstraße", erklärt Dörfler, der für den BUND die Aktivitäten gegen den Elbeausbau koordiniert. "Niedrigwasser und Havarien dürfen da nicht vorkommen."

Zehn Jahre nach der Jahrhundertflut wird wieder gestritten an der Elbe. Diesmal aber nicht um neue Deiche oder Bollwerke, sondern um die Schiffbarkeit des Flusses, der im tschechischen Riesengebirge entspringt und nach 1094 Kilometer Länge bei Cuxhaven in die Nordsee mündet. An 346 Tagen im Jahr soll die Elbe mit einer Mindesttiefe von 1,40 Meter schiffbar sein. So will es die Regierung in Prag – für sie ist die Elbe die wichtigste Verbindung zur Nordsee. 2006 hat die Bundesregierung versprochen, die Elbe entsprechend auszubauen – durch die Ertüchtigung von Buhnen oder das Ausbaggern der Fahrrinne.

Dörfler dagegen hält die Befahrbarkeit der Elbe für eine Selbstlüge. Er hat die Wasserstände der Elbe der vergangenen Jahre ausgewertet und kommt zum Schluss: "Von 1997 bis 2009 hat die Elbe im Schnitt an 143 Tagen diese Tiefe nicht erreicht." Auch Pfingstsonntag in Pirna sei die Elbe kaum befahrbar gewesen. "Doch die Mär von der Elbe als Wasserstraße erlaubt es nicht, das zuzugeben. Lieber riskiert man es, einen Frachter auf Grund laufen zu lassen." Dörfler spricht von der Elbe deshalb als "drittklassiger Wasserstraße", aber als "erstklassigem Fluss".

Das Elbehochwasser in Tschechien und Deutschland hat in Děčín oder Dresden bis heute keiner vergessen. 21 Menschen starben in Sachsen, in Tschechien waren 17 Tote zu beklagen. Ein Jahrhunderthochwasser wurde die Flut bald genannt – um nur vier Jahre später eines besseren belehrt zu werden. 2006 rollte schon wieder ein Jahrhunderthochwasser auf die Elbe zu. Seitdem warnen Meteorologen davor, dass extreme Wetterlagen zunehmen. Eine solche so genannte Vb-Wetterlage mit Starkregenfällen in Tschechien hatte auch die beiden Fluten an der Elbe ausgelöst. Gleichzeitig nehmen aber die die Perioden zu, in denen das Wasser an der Elbe so niedrig steht, dass man durch den Fluss hindurchwaten könnte. Für den 62-Jährigen Dörfler, Euro-Naturpreisträger und schon zu DDR-Zeiten Umweltaktivist, ist die Sache klar: "Die Elbe braucht keine neuen Buhnen und Staustufen. Die Elbe braucht mehr Raum." Um die frohe Botschaft zu verbreiten, lädt Dörfler seit 2002 in sein Schlauchboot made in GDR zum "Dialog im Boot".

Im sächsischen Landtag ist die Botschaft angekommen. Am gleichen Tag, an dem Dörflers Boot von Pirna nach Dresden treibt, diskutieren im Landesparlament Vertreter der Landesregierung mit kommunalen und Akteuren und NGO's aus Deutschland und Tschechien. Es ist die Abschlusskonferenz von "Label", einem Programm, das gleich nach der Flut 2002 ins Leben gerufen wurde und sich dem grenzüberschreitenden Hochwasserschutz verschrieben hat. Von einem Ausbau des Flusses ist da weniger die Rede als von Deichrückverlegungen und natürlichem Hochwasserschutz. "Es ist schon erstaunlich, wie sehr man aus den Folgen der Flut gelernt hat", findet Gerlinde Kallenbach, die umweltpolitische Sprecherin der Grünen im sächsischen Landtag. Weil sie die Diskussion im Landtag nicht verpassen wollte, ist Kallenbach erst später in Dörflers Schlauchboot gestiegen.

Mehr Raum hat die Elbe in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich bekommen. Für 12,4 Millionen Euro wurde im brandenburgischen Lenzen der Deich ins Hinterland verlegt und der Elbe ein neuer Polder von 420 Hektar verschafft. Beim dritten Jahrhunderthochwasser nach 2002 und 2009 verlor 2011 der Scheitel der Flut in der neuen Lenzener Aue 35 Zentimeter Höhe, freute sich das brandenburgische Landesumweltamt. Eine ähnliche Deichrückverlegung wird derzeit im Lödderitzer Forst in Sachsen-Anhalt realisiert. "Die größte Gefahr", sagt Dörfler und steuert das Schlauchboot unter Dresdens "Blauem Wunder" hindurch, "droht inzwischen aus Tschechien." Die MS "Perun" meint er damit nicht. Die Gefahr, das ist eine neue, 220 Millionen Euro teure Staustufe bei Děčín, die die Regierung in Prag bauen will. "Das hätte Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht der ganzen Elbe in Deutschland", prophezeit Dörfler.

Anders als in Deutschland, wo das bislang einzige Wehr in Geesthacht die Binnenelbe von der durch die Gezeiten geprägte Tidenelbe trennt, wurde die Elbe in Tschechien bereits in den zwanziger Jahren staureguliert. Mit dem Ausbau zur Wasserstraße wollte die junge tschechoslowakische Republik die im Versailler Vertrag internationalisierte Elbe als Transportweg zur Nordsee nutzen. Noch heute symbolisiert der Moldauhafen in Hamburg diesen Anschluss Böhmens ans Meer. Auch der Direktor der sächsisch-tschechischen Häfen, Jiří Aster, beruft sich auf den Versailler Vertrag. "Deutschland ist verpflichtet, die Elbe als Wasserstraße instandzuhalten", sagt er. Mit dem Bau der nunmehr 25. Staustufe will Tschechien seinerseits sicherstellen, dass die Schiffe der Reederei ČSPL auch bei Niedrigwasser in einen tschechischen Hafen kommen.

Ganz anders sehen das die Umweltschützer, aber auch die Umweltminister von Sachsen und Niedersachsen sowie das Bundesumweltministerium. "Eine Staustufe würde die Elbe unterhalb von Děčín weiter eintiefen", fasst die grüne Umweltpolitikerin Gerlinde Kallenbach die Kritik zusammen. "Die Elbe braucht als naturnaher Fluss das Geschiebe vom Oberlauf." Auch die Auenwälder entlang des 400 Kilometer langen Biosphärenreservats Flusslandschaft Elbe seien von der Staustufe bedroht, heißt es. Ein Gutachten, dass der BUND gegen die Staustufe verfasst hat, hat inzwischen dazu geführt, dass das Umweltministerium in Prag eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung veranlasst hat. Auf der Schlauchbootfahrt erzählt Dörfler, dass sich auch die Reederei ČSPL von der Elbe zurückziehen wolle. Am Rhein, wo tschechische Binnenschiffer seit dem EU-Beitritt fahren dürfen, kann man mehr Geld verdienen.

Aufgegeben haben die tschechischen Wasserstraßenlobbyisten aber nicht. Aufgeschreckt von Plänen des Bundesverkehrsministeriums, die Elbe künftig als Nebenwasserstraße zu deklarieren und auf weitere Investitionen in die Infrastruktur zu verzichten, veranlasste Jiří Aster den tschechischen Premierminister Petr Nečas, einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel zu schreiben. Die antwortete prompt und versicherte dem "lieben Petr", wie es in dem Schreiben heißt, dass die Zusage der Bundesregierung, die Elbe auf eine Tiefe von durchgängig 1,40 auszubauen, Gültigkeit habe.

Nach sechs Stunden hat Dörfler Boot die Dresdner Altstadt erreicht. Hier hat der Pegel am 17. August 2002 einen bis dahin nie gemessenen Höchststand von 9,40 Meter erreicht. Die Semperoper und die Gemäldegalerie standen unter Wasser. "Die Elbe auf 1,40 Meter auszubauen, würde auch bedeuten, die besonders naturnahe und wilde Reststrecke zwischen Dömitz und Hitzacker mit Buhnen zu regulieren", kritisiert er. Pessimistisch aber ist er nicht. "Die Gütertransporte an der Elbe gehen immer weiter zurück", freut er sich. "Wenn Peter Ramsauer Ernst macht mit seiner Ankündigung, nur noch in profitable Strecken zu investieren, hat die Elbe gewonnen." Und die Staustufe wäre damit auch gestorben. "Ohne den Ausbau der deutschen Elbe wäre das eine Insellösung und eine Investitionsruine".

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